Professor Roland Koenigsdorff über die Herausforderungen der Wärmewende

Große Herausforderung

Um seine Klimaschutzziele einzuhalten, muss Deutschland die aus erneuerbaren Energiequellen erzeugte Strommenge bis 2030, d. h. binnen weniger als acht Jahren, mehr als verdoppeln. Diese Herausforderung ist groß, aber sie kann meines Erachtens gemeistert werden. Als ich vor über drei Jahrzehnten begann, mich beruflich den erneuerbaren Energien, der Energieeffizienz und der Energieeinsparung zu widmen, betrug der Anteil erneuerbarer Energie an der deutschen Stromerzeugung nur vier Prozent. Bis heute hat er sich auf knapp 50 Prozent verzehnfacht. Ein Erfolg, den damals viele nicht für möglich gehalten hätten. Wer das propagierte und anstrebte, wurde vielfach belächelt.

Erdgas klimaschädlicher als gedacht

Bei der Wärmeversorgung liegen wir allerdings noch weit zurück. Nur etwa 15 Prozent der in Deutschland verbrauchten Wärme stammt aus erneuerbaren Energien, zu wenig für einen wirksamen Klimaschutz. Unser Hauptenergieträger für Wärmeerzeugung ist gegenwärtig noch Erdgas, das lange als verhältnismäßig klimafreundlich galt. Doch in den letzten Jahren zeigten Forschungsergebnisse, dass seine Nutzung klimaschädlicher ist als gedacht, z. B. durch Leckagen bei der Gewinnung und dem Transport. Auch wir Fachleute mussten lernen, dass Erdgas bestenfalls eine marode Brücke auf dem Weg zu einer klimaschonenden Energieversorgung bilden kann.

Kontakt

Dies ist zunächst nur wenig ins öffentliche und politische Bewusstsein vorgedrungen. Erst der schreckliche Krieg in der Ukraine und seine gravierenden weltpolitischen Folgen haben das Thema Erdgas und Wärmewende auf der Agenda nach ganz oben befördert. Energiekosten, Versorgungssicherheit und damit die klimaschonenden erneuerbaren Energien erfahren nun eine deutlich größere Aufmerksamkeit. Die Frage, wie und aus welchen erneuerbaren Energiequellen unser Wärmebedarf nachhaltig gedeckt werden kann, ist drängender als je zuvor.

Biomasse wie z. B. Holz macht bisher zwar den Löwenanteil an der erneuerbaren Wärmeversorgung aus, die Ressourcen (Flächen) sind jedoch begrenzt und die Klimabilanz der Biomassenutzung ist keineswegs immer positiv. Also müssen künftig Wärmepumpen, Umweltwärme, Geothermie sowie Solarenergie und mit erneuerbaren Energien betriebene Wärmenetze die Hauptlast der Wärmeversorgung für die Heizung und Warmwasserbereitung tragen. Gerade in Innenstädten mit vielen, z. T. historischen Altbauten wie in Biberach sind moderne Wärmenetze eine wichtige Basis für eine sichere, erneuerbare und ressourcenschonende Wärmeversorgung.

Gerade in Innenstädten mit vielen, z. T. historischen Altbauten wie in Biberach sind moderne Wärmenetze eine wichtige Basis für eine sichere, erneuerbare und ressourcenschonende Wärmeversorgung.

Prof. Roland Koenigsdorff

Gebäude- und Quartiersentwicklung erfordert Innovation und Mut

In einem Forschungsprojekt haben wir, Forschende und Studierende der HBC, bereits vor nahezu zehn Jahren und in Kooperation mit der Stadt Biberach Ideen entwickelt, wie Wärmepumpen sowie Gewässer, oberflächennahe und tiefe Geothermie als Wärmequellen in ein Wärmenetz in der Altstadt eingebunden werden könnten und Schritte zur weiteren Prüfung und Umsetzung vorgeschlagen. Der Ausbau der Wärmenetze in Biberach geht in diese Richtung. Neben Erdgas und Holz sollen auch Wärmepumpen zum Einsatz kommen. Dass nun in einem nächsten Schritt die Geothermie als künftige Wärmequelle geprüft werden soll, greift die Vorschläge aus dem damaligen Projekt „eCO2centric“ auf.

Dies zeigt aber auch, wie lange derartige Transformationsprozesse dauern – im Umdenken und in der Realisierung. Doch die Zeit läuft uns davon! Deshalb ist es unabdingbar, Entwicklungen in Gebäuden und Quartieren sowie der zugehörigen Energie-Infrastruktur zügiger, vorausschauender, innovativer und mutiger anzugehen als bisher. Als Hochschulinstitut für Gebäude- und Energiesysteme arbeiten wir an einer Vielzahl von Projekten der angewandten Forschung und des Transfers, um unseren Beitrag dazu zu leisten.

Gleichzeitig werden für die Umsetzung der Wärmewende Handwerker*innen und Ingenieur*innen in großer Zahl benötigt. Auch hier leisten wir als Hochschule einen wichtigen Beitrag, in dem wir junge Menschen mit dem notwendigen Wissen ausstatten. In der Lehre greifen wir die aktuellen Themen der Wärmewende auf und ermöglichen Studierenden, im Sinne des forschenden Lernens, die Mitarbeit in aktuellen Projekten mit Industrie, Kommunen und anderen Institutionen. In dieser Zusammenarbeit treffen wir immer wieder auf Absolvent*innen – es ist schön zu erleben, wie sie erfolgreich ihren beruflichen Weg gehen und mit ihrem Können und ihren Ideen die Energiewende mitgestalten.

Porträt Mann
Porträt Mann

Prof. Dr.-Ing. Roland Koenigsdorff lehrt in den Studiengängen Energie-Ingenieurwesen (Bachelor) sowie Energie- und Gebäudesysteme (Master) und forscht im Institut für Gebäude und Energiesysteme (IGE) an der Hochschule Biberach. Er ist Forschungspartner und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Landesforschungszentrums Geothermie (LFZG).